Muss man einen Text verstehen, um ihn übersetzen zu können?

Man muss einen Text verstehen, um ihn übersetzen zu können.”

Mit diesem Satz wurden wir als professionell ausgebildete Übersetzerinnen und Übersetzer gleich zu Beginn unseres Studiums konfrontiert. Jung und naiv wie wir damals noch waren, konnten wir das zunächst gar nicht so recht nachvollziehen. Aber schon bald hatten wir es verstanden und verinnerlicht. Und spätestens beim Einstieg in die berufliche Praxis wurde uns plastisch vor Augen geführt, wie wahr dieser Satz doch ist. Da waren wir auf einmal mit einer “Flucht in die Säumnis” konfrontiert, mit der all unsere schlauen Wörterbücher uns im Stich ließen. Und Wikipedia und Co. waren leider noch nicht erfunden…

Ein Gespräch mit der Rechtsabteilung des Unternehmens brachte Aufklärung, und schon ließ sich eine passende Kurzerklärung formulieren. Spätestens jetzt wussten wir, wozu wir Fachwissen brauchen.

Und heute?

Nach jahrzehntelanger Berufspraxis, kommt nun die maschinelle Übersetzung daher – mit Ergebnissen, die wir uns noch vor wenigen Jahren nicht vorstellen konnten. Straft diese Tatsache nicht die alte Weisheit Lügen, man könne nur übersetzen, was man auch versteht? Denn dass die künstliche Intelligenz Erstaunliches leistet, ist mir längst klar. Aber dass sie Texte im intellektuellen Sinne versteht? Ich weiß nicht.

Über diese Frage habe ich tatsächlich nachgedacht. Inzwischen ist mir die Antwort klargeworden:

Nein, die alte Weisheit ist nicht obsolet. Aber sie beruht auf einem anderen Verständnis von Übersetzen als dem, das viele Menschen von dieser Tätigkeit haben. Dem nämlich, das auch wir noch hatten, als wir den Satz erstmals etwas ungläubig im Hörsaal vernahmen: Worte oder Sätze in einer Sprache werden durch Worte oder Sätze in einer anderen Sprache ersetzt. Mehr oder weniger mechanisch. Das ist die landläufige Vorstellung dessen, was “Übersetzen” bedeutet. Hätten wir es bei diesem Verständnis bewenden lassen, müssten wir tatsächlich davon ausgehen, dass Kollege Computer uns bald ablöst. Denn das kann die Maschine allemal besser: Tausende von Vokabeln lernen und diese mithilfe von Grammatikregeln verknüpfen, riesige Datenbestände in kürzester Zeit nach ähnlichen Formulierungen durchforsten – um diese Fähigkeiten beneide ich den elektronischen Kollegen durchaus. Und da es ja sinnvoll ist, wenn jeder das macht, was er am besten kann, lasse ich den Kollegen hier durchaus sein Können unter Beweis stellen. Und dann fange ich an zu übersetzen. In dem Sinne, der der alten Weisheit zugrundeliegt. Indem ich eben nicht nur mein Sprachwissen, sondern auch mein Weltwissen und mein Fachwissen einsetze, um aus einer Aneinanderreihung von Sätzen einen Text zu machen. Der ja bekanntlich mehr ist als die Summe seiner Teile. Ein Text, der einen bestimmten Kommunikationszweck erfüllt, eine Botschaft, die den Zielleser erreicht. Dann ist die Kommunikation gelungen.

Aber auch auf der Einzelsatzebene bleibt noch einiges für mich zu tun, wenn der Kollege sich bereits entspannt zurücklehnt: Kulturspezifische Begriffe wie im juristischen Kontext zum Beispiel die “punitive damages” aus dem angloamerikanischen Recht, Metaphern und sonstige bildhafte Formulierungen, offensichtliche oder vermutete Fehler im Ausgangstext warten noch auf eine angemessene Bearbeitung. Denn das interessiert den Kollegen nicht mehr. Und vor Missverständnissen ist auch er nicht gefeit. Weil seine Sätze meist grammatikalisch korrekt sind, übersieht man seine Sinnfehler auf den ersten Blick nur allzu leicht. Da heißt es genau aufpassen.

Nach anfänglichem Fremdeln und einem gewissen Misstrauen (zumindest auf meiner Seite) sind der Kollege und ich mittlerweile zu einem eingespielten Team geworden. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Zusammen sind wir unschlagbar!

Wie kann der Kunde von maschineller Übersetzung profitieren?

Ich setze MÜ (maschinelle Übersetzung) dort ein, wo es sinnvoll ist, um eine Arbeitsversion zu erhalten und mich auf das eigentliche “Übersetzen” konzentrieren zu können.

Für einen angemessenen Umgang mit sehr fachlichen Inhalten (die Fachwissen erfordern), mit Kulturspezifika (die Kultur- und Fachwissen erfodern) und mit offensichtlichen oder vermuteten Fehlern im Ausgangstext (die Welt- und/oder Fachwissen erfordern) –  kurzum: um einen funktionierenden Text zu erhalten – ist eine menschliche Bearbeitung unerlässlich.

Sollten Sie einen umfangreichen Text sehr schnell benötigen, beispielsweise um zu beurteilen, ob er inhaltlich überhaupt interessant für Sie ist, kann ich Ihnen Folgendes anbieten: Ich liefere Ihnen zu einem günstigen Preis eine mit maschineller Unterstützung erstellte relativ unbearbeitete Grobfassung (für die ich natürlich keine Haftung übernehmen kann). Dann können Sie entscheiden, ob Sie gerne eine “richtige” Übersetzung hätten, eventuell auch nur auszugsweise (was bei rechtlich relevanten Texten allerdings Gefahren birgt).

Aber wenn jeder sich der Gefahren und Beschränkungen bewusst ist und die künstliche Intelligenz gezielt dort einsetzt, wo sie sinnvoll ist, können alle profitieren. Und der elektronische Kollege wird immer besser…Und wir hoffentlich auch!