Im gestrigen “heute-Journal” leitete Marietta Slomka den Bericht über die jüngsten Aussagen des designierten US-Präsidenten Donald Trump, die dieser offenbar im Interview mit der Bildzeitung gemacht hatte, mit den Worten ein: “Auch wenn Trump bei seiner Wortwahl die Goldwaage eher nicht kennt, sondern lieber zum Holzhammer greift: Es hilft  auch nicht, seine Aussagen noch schärfer wiederzugeben, als sie von ihm selbst formuliert waren. Wenn er sagt, dass die NATO “obsolete” sei, lässt sich das nicht 1:1 mit dem deutschen “obsolet”, sprich “überflüssig” übersetzen. “Obsolete” bedeutet im Englischen auch “veraltet”, nicht mehr zeitgemäß”. Insofern hat Trump mutmaßlich nicht die Abschaffung der NATO gefordert, sondern sie sinngemäß als “dringend reformbedürftig” bezeichnet.”

Mit dem ersten Teil dieser Einleitung bin ich vollkommen einverstanden. Etwas erstaunt haben mich hingegen die Ausführungen zur Verwendung  des Wortes “obsolet” im Deutschen bzw. “obsolete” im Englischen. Nimmt man ein einschlägiges englisches Nachschlagewerk wie beispielsweise “Webster’s Encyclopedic  Unabridged Dictionary of the English Language” zu Hilfe, so findet man dort eine ganze Palette von Bedeutungen, die im Englischen mit “obsolete ausgedrückt werden können, und die man, wie Frau Slomka richtig feststellt, mit “veraltet“, “nicht mehr zeitgemäß” wiedergeben könnte. Andere Bedeutungsnuancen allerdings lassen sich eher mit “nicht mehr in Gebrauch“,” nicht mehr gültig” oder “überholt” übersetzen. Und wie sieht es mit dem deutschen Begriff “obsolet” aus, der von Frau Slomka mit “überflüssig” gleichgesetzt wurde?  Der Duden gibt die Bedeutungen “nicht mehr üblich“, “ungebräuchlich“, “veraltet” an, im Synonymwörterbuch des Wahrig werden “altmodisch“, “unmodern“, “unzeitgemäß“, “ungebräuchlich“, “veraltet“, vergangen, passé, anachronistisch, “vorbei“, “gestrig“, “aus der Mode“, “abgelebt” als bedeutungsverwandte Begriffe für “obsolet” angeboten. Man findet hier  praktisch die gleiche Bandbreite von Bedeutungen, die mit “obsolete” zum Ausdruck gebracht werden können. Insofern kann man “obsolet” im Deutschen also durchaus mit “obsolete” im Englischen gleichsetzen. Vom lateinischen Ursprung ausgehend ist die Grundbedeutung in beiden Sprachen “veraltet“, “abgenutzt“. Ob man etwas, das veraltet ist, als gänzlich überholt und damit als überflüssig betrachtet, oder ob man ihm eher eine Reformbedürftigkeit attestiert, hängt wohl vom Kontext und im vorliegenden Fall sicher auch von der Sichtweise der Sache ab. Was Donald Trump uns über die NATO sagen wollte, lässt sich zumindest aus der Verwendung des Wortes “obsolete” nicht genau erkennen.

Zwar hat Frau Slomka vollkommen recht damit, dass Begriffe in verschiedene Sprachen, die sich auf den ersten Blick zu entsprechen scheinen, eben häufig doch nicht gleichgesetzt werden können, sondern eine differenzierte Wiedergabe erfordern. Beispiele derartiger Fehlübersetzungen begegnen uns im Alltag und gerade auch in den Medien ständig. Aber hier scheint mir dies nicht der Fall zu sein.

Dass Frau Slomka zu dieser Ansicht gelangt, könnte allenfalls daran liegen, dass der Begriff “obsolet” in der deutschen Medienlandschaft zunehmend im Sinne von “völlig überholt” und damit “überflüssig” verwendet wird. Eine Erklärung für “obsolet”, die ich im Internet gefunden habe, stützt diese Vermutung. Unter http://neueswort.de  heißt es: “So bezeichnet man im Deutschen Dinge, Ideen, Anschauungen und ähnliches als obsolet, wenn sie überholt und veraltet sind. Obsolet ist also alles, was durch neues ersetzt und damit überflüssig geworden ist….”.

Möglicherweise ist hier tatsächlich eine gewisse Bedeutungsverschiebung zu beobachten. Sprache ist schließlich ständig im Wandel begriffen, und die Vielzahl der Medien, die uns heute umgeben, tragen dazu ganz erheblich bei. Vielleicht erleben wir daher im “heute-Journal” manchmal schon den Sprachgebrauch von morgen.